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Die Arbeit der Rentner

Von Volker Tzschucke

Rentner haben niemals Zeit, heißt es. Reisen oder Gartenarbeit, ein Minijob, sich um die Enkel kümmern oder noch eine Sprache lernen – die Möglichkeiten, sich zu beschäftigen, sind vielfältig. Sich durch ehrenamtliches Engagement ins gesellschaftliche Leben einzubringen, ist nur eine Wahl unter vielen. Im kulturellen Bereich bieten vor allem Förder- und Freundeskreise öffentlicher oder privater Institutionen die Gelegenheit dazu.

Ob Sächsisches Industriemuseum, die Kunstsammlungen in Zwickau oder Chemnitz, die Theater in Chemnitz und Annaberg – sie alle haben ihren eigenen Förderverein oder Freundeskreis. Fürs Staatliche Museum für Archäologie Chemnitz wurde kurz nach dessen Eröffnung auch ein Förderverein gegründet. Private Kultureinrichtungen wie das Fritz-Theater in Chemnitz haben einen Unterstützerverein. Andere Institutionen wie etwa das Museum für sächsische Fahrzeuge in Chemnitz oder der Förderverein Rochlitzer Muldentalbahn sind gleich selbst als Verein organisiert – Ehrenamt wird da vorausgesetzt. Sie alle leisten wertvolle Arbeit, die kaum in Geld aufzuwiegen ist.

Von Frankfurt nach Chemnitz

Auch die Stadtbibliothek Chemnitz hat ihre Unterstützer – die Förderer der Stadtbibliothek Chemnitz e. V.. Das Vereinswesen war kaum wieder freigegeben im Osten Deutschlands, da wurde der Verein gegründet – allerdings in Frankfurt am Main: Dorthin hatte es den Chemnitzer Wolfgang Weidlich 1951 verschlagen. Als gelernter Buchhändler und Verleger hatte er ein Faible für Bücher. Und offenbar gute Erinnerungen an die Stadtbibliothek seiner Heimatstadt. Er legte die Initialzündung für die Gründung des Fördervereins. Er stiftete der Bibliothek in den frühen 1990er Jahren 40 PKW-Ladungen an Büchern, stellte der Stadt Sach-, Geld- und Bücherspenden zur Verfügung. Erst in den späteren 1990er Jahren wurde der Sitz des Fördervereins nach Chemnitz verlegt. Die Tradition, Geld für die Bibliothek zu sammeln, blieb erhalten. Allein 50.000 Euro konnten beispielsweise für sogenannte „Sorgenbücher“ gesammelt werden: Das sind alte Bücher aus dem Bestand der Bibliothek, deren Zustand nicht mehr der beste ist. Die Förderer sammeln gezielt Geld ein, um die Restaurierung dieser Bücher zu finanzieren. Werke wie eine aus drei Inkunabeln bestehende juristische Abhandlung aus den Jahren 1475 bis 1478 oder ein der Maschinenfabrik Richard Hartmann gewidmeter Führer aus dem Jahr 1858 erstrahlen dank der Unterstützung aus dem Verein und einzelner Buchpaten jetzt wieder in altem Glanz. Auch für die Installation eines BibLab, eines Experimentierraums mit 3D-Drucker und Tonstudio, stellte der Verein Geld zur Verfügung.

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Die Arbeit des Rentners

Seit 2010 leitet Curt Bertram die Geschicke des Fördervereins als dessen Vorsitzender. 1945 geboren, hat er sein Berufsleben seit einer Weile hinter sich, in dem er zuletzt Vorstand der Chemnitzer Allgemeinen Wohnungsgenossenschaft war. Noch heute wohnt der Rentner in einer CAWG-Wohnung – und bringt sich auf kulturellem Gebiet in die Arbeit der Stadtbibliothek ein: „Der vorhergehende Vorsitzende des Vereins, Herr Naujokat, hat mich gefragt, ob ich mich für die Aufgabe erwärmen könnte. Ich habe das mit großer Freude übernommen“, erzählt Bertram im kleinen Vereinsbüro im Kulturkaufhaus Tietz – um dorthin zu gelangen, muss man durch die Bibliothek. So hat man das Objekt der Unterstützung direkt im Blick. Das ist auch nötig. Denn die Förderer der Stadtbibliothek haben mittlerweile vielfältigste Aufgaben übernommen. Sie kümmern sich um das Programm der Vorlesepaten in Kitas, Schulen und Altersheimen und natürlich auch um die Vorlesestunden in der Zentralbibliothek und den Stadtteilbüchereien selbst. Sie organisieren den Verkauf ausrangierter Medien: Bis zu fünf Mal im Jahr werden ausgesonderte Bücher zumeist im Tietz zum geringen Preis angeboten – ein Drittel der Einnahmen, so ist es vereinbart, wandert aufs Vereinskonto, der Rest ins Bibliotheksbudget für Neuanschaffungen. Die Mitglieder des Fördervereins leisten Hausaufgabenhilfe oder halten Deutschkurse ab. Sie unterstützen die Bibliothek bei Veranstaltungen wie beispielsweise Lesungen. Oder sie sind im mobilen Bücherdienst aktiv: Wer es nicht mehr selbst schafft, in die Bibliothek zu kommen, kann seine Wunschbücher über die Geschäftsstelle des Vereins bestellen, die auch für solche Zwecke regelmäßig dienstags mehrere Stunden besetzt ist. Dann bringt jemand die bestellten Medien vorbei – häufig auch die Gelegenheit für die zumeist älteren Kunden des Lieferdienstes, mal wieder ein Schwätzchen zu halten. „Bei diesem Angebot würden wir uns freuen, deutlich mehr Nachfrage zu haben“, sagt Bertram. Aktuell sei die Zahl der Kunden noch einstellig.

Zwei Aufgaben, auf die man nicht so einfach kommen würde: das Rücksortieren von Büchern oder die Überprüfung zurückgegebener Spiele auf Vollständigkeit. Wäre das nicht eine originäre Aufgabe der Bibliotheksmitarbeiter?„Sie wissen doch, wie das ist“, sagt Bertram: „Das Budget der Stadtbibliothek ist sehr begrenzt. Und wenn sich die Festangestellten um solche vergleichsweise einfachen Sachen kümmern, dann fehlen sie an anderer Stelle.“

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"Als Förderverein sind wir freier."

Curt Bertram, Vorsitzender der Förderer der Stadtbibliothek Chemnitz e.V.

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Die Freiheit, sich einzumischen

Da hat man sehr elegant den Übergang geschafft zu einer anderen wichtigen Funktion, die die Förder- und Unterstützervereine übernehmen: Sie können und dürfen manchmal sagen, was sich die Leiterinnen und Direktoren der Einrichtungen nicht immer trauen. Die sind – zumindest bei städtischen Institutionen – schließlich Angestellte der Stadt und in ihren öffentlichen Äußerungen zur Loyalität gegenüber ihren Dienstherren verpflichtet. „Als Förderverein sind wir da freier“, sagt Bertram. Und so scheute sich der Verein in den vergangenen Jahren selten, als Teil der Stadtgesellschaft seine Meinung zu Sparkonzepten und Budgetkürzungen im Kulturbereich abzugeben. Da wurden fleißig Unterschriften gesammelt oder die Stadtverordneten gezielt angesprochen. „Wir können darauf aufmerksam machen, dass Kürzungen aus unserer Sicht unverhältnismäßig sind – zuletzt wurde dies meist verstanden.“ Auch, wenn es um allgemeinere Fragen geht, mischt sich der Förderverein ein – etwa bei der Gestaltung der Erdgeschosszone im Tietz: „Hier haben wir das Gespräch mit dem Kulturbetrieb gesucht. Wir würden uns die Belebung mit kulturnahen Geschäften wünschen“, erklärt Bertram.

Solche Einflussnahme funktioniert nur, wenn der Verein selbst gut aufgestellt ist. Das bedeutet auch interne Organisation. Die Mitglieder werden von der ehrenamtlichen Geschäftsstelle aus betreut. Wer Vorlesepate werden will, kann Einführungs- und Schulungsveranstaltungen besuchen. Zudem gibt es interne Veranstaltungen, etwa eine jährliche Exkursion, häufig in andere Bibliotheken. Und natürlich die jährlicheMitgliederversammlung mit all den Formalitäten, ohne die kein Verein auskommt.

Millionewerte durchs Ehrenamt

Und es braucht eine ordentliche Vereinsgröße. Bertram will da nicht klagen: „Wir sind aktuell 180 Mitglieder und in dieser Zahl auch seit einigen Jahren stabil.“ Die Altersstruktur sei ausgewogen: „Wir sind nicht ganz alt“, so der Vorsitzende: „Es kommen auch immer wieder jüngere Menschen nach und so fällt es uns meist nicht schwer, Aufgaben zu besetzen.“ Dennoch: Ein Schwerpunkt der Arbeit, so nahm man es sich im vergangenen Jahr vor, sei die Gewinnung weiterer Mitglieder, „besonders im jugendlichen Alter“. 56.000 Ehrenamtsstunden, so hat man es 2022 anlässlich des 30. Vereinsgeburtstages nachgerechnet, haben die Mitglieder in den vergangenen drei Jahrzehnten geleistet. Angesichts der Vielzahl an Aktivitäten scheint die Summe eher zu klein als zu hoch angesetzt. Und doch ergibt allein diese Stundenzahl ehrenamtliche Arbeit in Millionenwert, selbst wenn man nicht viel mehr als den Mindestlohn ansetzen würde. Und das ist nur einer von vielen Fördervereinen in der Stadt, in der Kulturregion, im ganzen Land. Ohne das Engagement ihrer Mitglieder hätten es viele Institutionen wohl schwer, einen geregelten Betrieb aufrecht zu erhalten.

Lernpaten

„Wichtig für uns ist die Gewinnung weiterer Mitglieder, besonders im jugendlichen Alter.“

Curt Bertram, Vorsitzender der Förderer der Stadtbibliothek Chemnitz e. V.

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