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Walküre im barocken Stil. Oder: Eine Chance für Chemnitz

Digitale Kunst und Chemnitz – passt das zusammen? Bei vielen Einwohnern würde das wohl eher ein Stirnrunzeln auslösen als große Begeisterung hervorbringen. Denn die Frage steht im Raum – was ist das überhaupt, digitale Kunst?

„Digitale Kunst ist wie KI, also künstliche Intelligenz – derzeit viel diskutiert. Was genau man darunter zu verstehen hat, dazu gibt es zwar verschiedene Aussagen, wohl aber noch keine klare Definition“, antwortet Norbert Rasch, Diplom-Designer an der Hochschule Mittweida. „Zum Beispiel: Man gibt dem Computer über die KI den Befehl ‚Male ein Gemälde im barocken Stil mit Frau Angela Merkel als Walküre‘, dann wäre das heute schon zu machen. Moderne Technologien machen so etwas möglich. Aber ist das dann wirklich Kunst?“, regt er zur Diskussion an.

Dabei ist der Wissenschaftler überzeugt, dass digitale Kunst eigentlich viel älter ist als man denkt und dass eigentlich fast jeder irgendwie schon damit zu tun hatte. Ihre Geschichte begann wohl mit der Entwicklung des Computers und seiner Nutzung. Andy Warhol wurde in den 1980ern ein früher Markenbotschafter der Commodore-Computer und einer der ersten Digital Artists. Die digitale Fotografie hat vor zwei Jahrzehnten die Welt erobert, die Virtuelle Realität will es ihr heutzutage nachtun: Sie erlaubt es, Räume außerhalb der „realen“ Lebenswelt zu betreten und dort auch Bilder herzustellen. Mit Hilfe sogenannter NFT – Non-fungible Token – gibt man auch diesen digitalen Bildern Einzigartigkeit: Nur, wer das NFT besitzt, besitzt auch das Bild und kann es betrachten.

Was der Chatbot sagt 1:

Digitale Kunst ist eine Kunstform, die mit digitalen Technologien erstellt wird. Es umfasst eine Vielzahl von künstlerischen Ausdrucksformen wie digitale Malerei, Fotografie, Videokunst, interaktive Installationen, digitale Skulptur und Animation.

Es geht also um die Herstellung von Kunst mit digitalen Werkzeugen – und gegebenenfalls auch um ihre Repräsentation im digitalen Raum.

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Aufgewachsen in „Digitalien“

Ein junger Mann, der sich sehr zeitig entschieden hat, digital künstlerisch tätig zu sein, ist Enrique Thum. Der 18-jährige, der auch als Nachwuchsschauspieler im Chemnitzer Fritz Theater auf der Bühne steht, bewältigt gerade sein Abitur. Seit 2020 leitet er am Gymnasium Mittweida die Film AG. In Zusammenarbeit mit Schülern wurden viele Projekte erstellt und gingen viral. Er machte sich – wie viele junge Menschen – die leichte Verfügbarkeit digitaler Technik zunutze: Hochauflösende Kameratechnik von Smartphones, digitale Programme für Special Effects und für den Filmschnitt sind kostengünstig zu haben. Technische Unterstützung erhielt er zudem durch die Fakultät Medien der Hochschule Mittweida, die über ein modernes Equipment verfügt. 26 Kurzfilme hat Enrique Thum mittlerweile realisiert, bei denen er Regie führte und teilweise auch mitspielte.

Viele davon veröffentlicht er direkt auf seinem YouTube-Kanal E.T Production. Immer wieder reicht er seine Arbeiten auch zu regionalen oder nationalen Filmförderwettbewerben ein: Mit dem Kurzfilm „Trivial – Überschreite die Grenze“ gewann er 2022 beim Internationalen Jugendfilmpreis „jugendcreativ“ auf Sachsen- und Bundesebene. Derzeit bewirbt er sich mit dem fünfminütigen Kurzfilm „Anders“ erneut beim diesjährigen Jugendwettbewerb zum Thema „Solidarität – Wie sieht Zusammenhalt aus?“. Die Themen seiner Filme reichen von zwischenmenschlichen Beziehungen über die humorvolle Bewältigung von aktuellen Themen wie der Klopapier-Hamsterproblematik zu Beginn der Corona-Pandemie („Rache an Rotkäppchen“ – Bundesbattle 2020) bis hin zu ernsteren Themen des Alltags – so wie in „Anders“, wo es um Homosexualität und Queerfeindlichkeit geht.

Warum Enrique Thum sich die digitale Form ausgewählt hat, beschreibt er so: „Mit dem Medium Film kann man surreale Welten erschaffen, somit Gefühle und Emotionen ausdrücken und Menschen zum Nachdenken anregen. Ich liebe es, Filme zu drehen und diese auf YouTube zu zeigen. Digital erreicht man auch ein anderes Publikum und es macht Spaß. Aber Basis bei allen Projekten ist eine Idee, die dahintersteckt.“ Sein Hobby möchte er nun auch zum Beruf machen. Gern will er Schauspiel oder Filmregie studieren.

Was der Chatbot sagt 2:

Digitale Kunst wird oft mit Hilfe von Computerprogrammen und digitalen Werkzeugen wie Grafik-Tabletts, 3D-Modellierungswerkzeugen, Bildbearbeitungsprogrammen und anderen kreativen Software-Tools erstellt. Künstler können auch Technologien wie Virtual Reality, Augmented Reality und Künstliche Intelligenz nutzen, um ihre Werke zu erstellen und zu präsentieren.

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Von analog zu digital

Die Idee steht auch bei Ines Escherich im Mittelpunkt ihrer Arbeiten. Die Fotografenmeisterin hat ihr Atelier auf dem Chemnitzer Schloßberg. Obwohl sie an der Fakultät Angewandte Kunst in Schneeberg Malerei und Grafik studiert hat, sieht sie sich nicht unbedingt als Künstlerin. „Fotografie ist Handwerk. Gutes Handwerk. Und die Bilder müssen einen Sinn machen“, sagt sie. Wenn jemand aber sein Handwerk nicht beherrsche, dann könne trotz aller heutigen technischen Möglichkeiten das Ergebnis nicht gut werden.

In ihren zahlreichen Arbeiten von Porträts, kreativen Hochzeitsaufnahmen, Architektur- und Werbeaufnahmen über Naturfotografie bis hin zu künstlerisch gestalteten Blumenmotiven oder riesigen Starkstromleitungen ist neben fantasievoller Kreativität immer auch der Anspruch der Meisterin zu spüren, die Wert auf kleinste Details legt. Ines Escherich, die aus einer traditionsreichen Chemnitzer Fotografen-Handwerksfamilie stammt, hat schon verschiedene Expositionen und deutschlandweite Projekte gestaltet. Dazu gehören auch rund 150 Porträts von Menschen, die sich im Ehrenamt engagieren. Diese begleitete Ines Escherich einen Tag und die Aufnahmen wurden unter dem Motto „Ehrenamt zeigt Gesicht“ in mehreren Bundesländern als Wanderausstellung präsentiert.

„Die digitale Fotografie hat ganz andere Möglichkeiten!“, weiß die Meisterin: „Der Wandel des fotografischen Zeitgeistes und die immer wieder neuen Möglichkeiten und Technologien sind faszinierend, manchmal angsteinflößend, aber auch immer wieder inspirierend, sich neu zu erfinden und dabei auch die bisherigen Erfahrungen mit einzubeziehen“, so Escherich.

Ein Bereich, in dem sie ihr Können ausspielen kann, ist die Industriefotografie. So ist sie im Chemnitzer Fraunhofer Institut für Elektronische Nanosysteme Enas auf die Spur gegangen, um kleinste Chips mit Pixeln und Licht einzufangen. Entstanden sind kunstvolle Momentaufnahmen voller Spannung, in denen Ines Escherich die Forschungsarbeit der Wissenschaftler aus ihrer Sicht mit digitalen Mitteln interpretierte. Sie zeigen gedruckte Leiterbahnen, MEMS, Mikrofluidtechnik oder die Oberflächenbearbeitung von Mikrochips: „Ziel war, die Hochtechnologie so zu zeigen, wie sie bisher noch keiner gesehen hat“, erinnert sich die Fotografenmeisterin. „So wollen wir Menschen und Technik näher zueinander bringen.“ Die Aufnahmen wurden unter anderem im Fraunhofer Institut auf Ausstellungen gezeigt und sind zum Teil auch im Internetauftritt des Forschungsinstitutes zu finden.

Was der Chatbot sagt 3:

Digitale Kunst hat in den letzten Jahren immer mehr Anerkennung gefunden und wird heute in Galerien und Museen auf der ganzen Welt ausgestellt. Es gibt auch eine wachsende Anzahl von Online-Plattformen, die digitale Kunstwerke präsentieren und verkaufen, um die Verbreitung und Sichtbarkeit der digitalen Kunst zu erhöhen.

Der Forschung ganz nah

Auch der Chemnitzer Klub Solitaer verfügt über enge Beziehungen zu den beiden Chemnitzer Fraunhofer Instituten ENAS und IWU (Werkzeugmaschinen und Umformtechnik) sowie zum Sächsischen Textilforschungsinstitut (STFI), das in Chemnitz seinen Sitz hat. Zur Umsetzung digitaler Kunst-Projekte wurde vom Klub die „Funken Akademie“ als Akademie für künstlerische Forschung gegründet. Als Pilotprojekt startete im März 2021 das „Labor 2025“. In drei Workshops, entwickelt von Künstlern und Künstlerinnen in Zusammenarbeit mit den drei Chemnitzer wissenschaftlichen Partnerinstituten, arbeiteten Studierende und junge Wissenschaftler an Ideen in den Bereichen Augmented Reality, Smart Materials und Textildesign. Ziel war es, neueste Technologien und Erkenntnisse aus der Wissenschaft künstlerisch zu nutzen, etwa mit progammierbaren Materialien wie Formgedächtnispolymeren oder mit neuartigen Fliesstoffen zu arbeiten – inspirierend gleichermaßen für die teilnehmenden Künstler wie für die Wissenschaftler der Forschungsinstitute. Gemeinsam entstand eine Ausstellung fürs renommierte Ars Electronica Center in Linz.

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Auch sein Format „Dialogfelder“ – künstlerische Interventionen in Chemnitz und speziell im Stadtteil Sonnenberg – widmete der Klub Solitaer 2021 der digitalen Kunst. Unter dem Motto „Drag & Drop“ waren Residenzkünstler aufgerufen, die intuitivste Form der virtuellen Interaktion – eben das „Anpacken und hereinziehen“ – in reale Lebensräume auf dem Sonnenberg zu übertragen.

Die Künstler erkundeten die Stadt und stellten ihre Visionen und Fantasien zur Gestaltung des städtischen Raumes vor. Robert Verch, Vorstandsmitglied im Klub Solitaer e.V., verweist auf virtuelle Kunstwerke, die heute auf der Webseite des Wiener „Artificial Museum“ zu sehen sind – entstanden bei den „Dialogfeldern“ im Chemnitzer Stadtraum: Hier spielt unter anderem die Chemnitzer Band Integral das Stück „What the SMAC“ vor dem Archäologiemuseum – aber nur als virtuelle Avatare in einer virtuellen Realität.

Robert Verch ist überzeugt, dass die digitale Welt für Chemnitz viel zu bieten hat. „Chemnitz sieht sich immer noch als Industriestadt. Das ist eine Traditionslinie, die die Stadt aber nicht mehr ausschließlich repräsentiert“, denkt er. So sei Chemnitz inzwischen längst auch ein Hochtechnologiestandort: „Diese Chance sollte man nutzen.“ Und was hat das mit digitaler Kunst zu tun? „Digitale Kunst ist eng mit Hochtechnologie verbunden. Sie kann Forschung und Entwicklung mit Emotionen erfüllen und enger an die Menschen heranbringen“, ist sich Diplomdesigner Verch sicher.

Auch Wissenschaftler Norbert Rasch von der Hochschule Mittweida sieht in der Nutzung von digitalen Technologien große Möglichkeiten für alle Bereiche, auch für die Kunst. „Es kommt doch darauf an, wie und mit welchen Intentionen diese Werkzeuge genutzt werden, damit etwas Neues und Unerwartetes – und damit oft eben auch: etwas Künstlerisches – entsteht.“ Robert Verch hat deshalb eine weitere Vorstellung für Chemnitz. „Die Stadt könnte ein Standort für eine Hochschule zur Erforschung künstlerischer Tätigkeiten werden.“

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